Am Sonntagnachmittag des ersten Novemberwochenendes zog ein Unwetter über Luzern, erst kurz vor Sonnenuntergang verzogen sich die Wolken und matt schien ein Licht im Abendrot über den Bergen des Vierwaldstättersees. Im „Kultur- und Kongresszentrum Luzern“ erklang passend zum Naturschauspiel und zur düsteren Stimmung eines der eindrücklichsten Vertonungen der Totenmesse überhaupt, die „Messa da Requiem“ von Giuseppe Verdi. (Konzert vom 3. November 2019, KKL Luzern)
Die „Messa da Requiem“, von Giuseppe Verdi im Jahre 1874 komponiert, wird zunehmend als „Oper im Kirchengewande“ verschrien, da sich der Komponist von den liturgischen Gebräuchen seiner Zeit löste und stattdessen vielmehr den dramatischen Effekt des Solistenensembles in den Vordergrund stellte. Womöglich lag es an der weniger opulenten Orchesterstärke des Orchestra Filarmonica Italiana oder auch an den lyrisch-hellen Stimmfarben der Gesangssolisten, der Dirigent Manfred Obrecht wusste jedoch gekonnt einen Ausgleich zwischen kammermusikalischem Zusammenspiel im Einzugspsalm, dem „Introitus“, und den dramatisch-drohenden Schlägen des „Dies irae“, dem Tag des Zorn im Hymnus auf das Jüngste Gericht, darzustellen. Obrechts Interpretation klang vielmehr nach echter Liturgie einer Totenmesse, als nach aufwühlender Opernästhetik des 19. Jahrhunderts. Stimmgewaltig und aufbrausend erklangen unter seiner Leitung lediglich die Einsätze der Arcis-Vocalisten, ein auf Projektbasis zusammenkommender Chor aus München, mit welchem Thomas Gropper eigens für diese Vorstellung das „Verdi-Requiem“ einstudierte.
Die beiden weiblichen Stimmen von Evgenia Ralcheva und Violetta Radomirska harmonierten dank fließend-sinnlicher Gestaltung überaus wohlklingend miteinander. Ebenso eindrücklich und gelassen, jedoch gleichsam souverän, gestaltete Flurin Caduff die Bass-Partie in sonor-ruhigem Stimmfluss. Auf der Bühne wirkte der Tenor Adam Sanchez trotz guter Stimme ungewohnt schüchtern. Er setzte sein hell-tenorale Stimme mit lyrischer Gestaltung gekonnt ein und hätte sich bei dieser Gesangsleistung sicherlich nicht mit verschränkten Armen hinter der Partitur verstecken müssen.
Manfred Obrecht gilt mitunter als vielseitigster Dirigent der Schweizer Kulturszene. Neben Film- und Blasmusik, oder diversen Weihnachtsgalas, verbindet ihn eine Leidenschaft zu Konzerten klassischer Musik. Bei italienischem Repertoire musiziert er vornehmlich in Begleitung des „Orchestra Filarmonica Italiana“, welches für diese Aufführung eigens aus der norditalienischen Stadt Piacenza angereist ist. Italienischen Musikern wird ja nachgesagt, dass ihnen allen das Blut Verdis durch die Adern fließe. Selbst unbekanntere Orchester wie dieses zeigte ein gewisses Gespür für ihren eigenen, ganz unverwechselbaren italienischen Klang für die Musik dieses beim italienischen Volke wohl beliebtesten Komponisten.
Das „Orchestra Filarmonica Italiana“ tourt regelmäßig durch Italien und die benachbarte Schweiz, wobei die Anzahl ihrer Konzerte für ein professionelles Ensemble erstaunlich gering erscheint. So stand auch das „Requiem“ ohne Wiederholung singulär auf ihrem Spielplan. Die italienischen Musiker studieren jede Aufführung eigens neu ein, so dass ihre Musikalität niemals zur Routinearbeit verkommt und stets einen individuell gestalteten Höhepunkt darstellt. Insbesondere die Horngruppe des Orchesters gilt es positiv hervorzuheben, gelang ihr gerade doch die Abwärtsläufe in den ersten Schlägen des „Dies irae“ überaus souverän und gleichermaßen klangvoll voluminös.
Abseits des alljährlich im Sommer stattfindenden Lucerne Festival mit den renommiertesten Orchestern zu Gast, bildet das gemischte Programm des Veranstalters ObrassoConcerts verteilt über das gesamte Jahr einen Kern des Spielplans im KKL Luzern, dem bedeutendsten Konzertsaal der Schweiz. Die Konzerte von „ObrassoConcerts“ mit ihrem Hausdirigenten Manfred Obrecht müssen ohne öffentliche Fördergelder auskommen und sind daher bewusst mit populärerem Programm gefüllt. Manfred Obrecht und seine Musiker haben an diesem Sonntagnachmittag im ausverkauften Saal mit der Aufführung der „Messa da Requiem“ eindrücklich bewiesen, dass sie bei ihren Konzerten in Anbetracht der herausfordernden Partitur Giuseppe Verdis gleichwohl einen Fokus auf eine hohe musikalische Qualität zu legen wissen.
Rezension von Philipp Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN